Im Folgenden geht es um die Lohnfortzahlung nach dem gesetzlichen Minimum, wenn keine Versicherung besteht und kein GAV oder EAV eine für den Mitarbeiter bessere Regelung vorsieht. Art. 324a, OR ist relativ zwingend. Das heisst, grosszügiger darfst du als Arbeitgeber sein, aber nicht knausriger.
Für welche Mitarbeiter gilt die Lohnfortzahlung nach OR?
Grundsätzlich für diejenigen, die unverschuldet aus persönlichen Gründen von der Arbeit fernbleiben müssen (z.B. Krankheit, Unfall, Schwangerschaft) und keine Versicherung besteht oder die Absenz von der Versicherung ausgeschlossen ist. Da Schwangerschaft durch die EO und Unfall durch die Unfallversicherung gedeckt sind, kommt Art. 324a, OR meist nur in Krankheitsfällen zum Tragen (der Abschluss einer Krankentaggeldversicherung ist nicht obligatorisch).
Absatz 1 schränkt den Kreis der Berechtigen weiter ein. Er besagt, dass «der Arbeitgeber für eine beschränkte Zeit den Lohn zu entrichten hat, sofern das Arbeitsverhältnis mehr als drei Monate gedauert hat oder für mehr als drei Monate eingegangen ist.» Was heisst das?
- Befristeter Vertrag bis und mit 3 Monate = keine Lohnfortzahlung
- Befristeter Vertrag von mehr als 3 Monaten = Lohnfortzahlung ab Vertragsbeginn
- Unbefristeter Vertrag ohne Möglichkeit zur Auflösung vor Ablauf von 3 Monaten = Lohnfortzahlung ab Vertragsbeginn
- Unbefristeter Vertrag mit Möglichkeit zur Auflösung vor Ablauf von 3 Monaten = Lohnfortzahlung ab dem 4. Anstellungsmonat (BGE 131 III 623)
Für die meisten unbefristet angestellten Mitarbeiter beginnt also das Recht auf Lohnfortzahlung erst mit dem 4. Anstellungsmonat, da die meisten Verträge eine Probezeit und eine kurze Kündigungsfrist im ersten Dienstjahr vorsehen.
Lohnfortzahlung bei voller und teilweiser Arbeitsunfähigkeit
Laut Art. 324a, OR hat der Mitarbeiter Anspruch auf Lohnfortzahlung für eine beschränkte Zeit und nicht während einer beschränkten Zeit. Im ersten Dienstjahr für 3 Wochen; mit zunehmenden Dienstjahren mehr (der Arbeitgeber kann sich dabei auf die Berner, Zürcher oder Basler Skala stützen). Gemeint sind 3 Wochen zum vollen vertraglich vereinbarten Lohn bei voller Arbeitsunfähigkeit. Ist der Mitarbeiter z.B. nur zu 50 % arbeitsunfähig, verlängert sich der Bezugszeitraum entsprechend, bis betragsmässig 3 Wochen zum vollen Lohn erreicht sind. Bei einer Arbeitsunfähigkeit von 50 % sind das also 6 Wochen.
Findet während der Arbeitsunfähigkeit ein Dienstjahrwechsel statt, beginnt die Lohnfortzahlung an diesem Datum wieder neu zu laufen bis zur Erschöpfung des Geldwertes für die neu gültige beschränkte Zeit.
Ein Beispiel: Wir wenden die Berner Skala an. Unser Mitarbeiter ist ab dem 17.06.2020 zu 50 % krankgeschrieben und ist im 1. Dienstjahr. Er erhält somit 6 Wochen lang 50 % Lohnfortzahlung, das heisst bis und mit 28. Juli 2020. Ab dem 1. Juli 2020 befindet er sich jedoch im 2. Dienstjahr und erhält somit 2 Monate Lohnfortzahlung à 50 %. Also vom 1. Juli 2020 bis am 31. August 2020. Dass er im Juni bereits eine Lohnfortzahlung aus dem 1. Dienstjahr erhalten hat, spielt keine Rolle.
Berner Skala nach Monaten
Dienstjahr
1. Dienstjahr
2. Dienstjahr
3. + 4. Dienstjahr
5. bis 9. Dienstjahr
10. bis 14. Dienstjahr
15. bis 19. Dienstjahr
20. bis 25. Dienstjahr
Lohnfortzahlung (betragsmässig)
3 Wochen
1 Monat
2 Monate
3 Monate
4 Monate
5 Monate
6 Monate
Berner Skala nach Wochen
Dienstjahr
1. Dienstjahr
2. Dienstjahr
3. + 4. Dienstjahr
5. bis 9. Dienstjahr
10. bis 14. Dienstjahr
15. bis 19. Dienstjahr
20. bis 24. Dienstjahr
25. bis 29. Dienstjahr
30. bis 34. Dienstjahr
35. bis 40. Dienstjahr
Lohnfortzahlung (betragsmässig)
3 Wochen
4 Wochen
9 Wochen
13 Wochen
17 Wochen
22 Wochen
26 Wochen
30 Wochen
33 Wochen
39 Wochen
Du als Arbeitgeber kannst frei wählen, ob du die Berner, Zürcher oder Basler Skala anwendest und ob du die Skala nach Wochen oder Monaten anwendest. Du musst dies aber durchziehen und darfst nicht für jeden Krankheitsfall diejenige Skala wählen, welche für dich gerade am günstigsten ist.
Mehrere Absenzen dürfen zusammengezählt werden
Ist der Mitarbeiter im gleichen Dienstjahr mehrmals arbeitsunfähig (egal, ob wegen der gleichen Krankheit oder einer anderen), führt unter Umständen nicht jede neue Absenz zu einer Lohnfortzahlung. Ist der Maximalbetrag ausgeschöpft, hat der Mitarbeiter von Gesetzes wegen keinen Lohnanspruch mehr (grosszügiger darf der Arbeitgeber aber selbstverständlich immer sein).
Ein Beispiel: Wir wenden die Berner Skala an. Unser Mitarbeiter befindet sich im 1. Dienstjahr. Vom 1. Januar 2020 bis am 31. Januar 2020 ist er 100 % krankgeschrieben. Vom 1. März 2020 bis am 31. März 2020 ist er wieder 100 % krankgeschrieben. Er erhält den Lohn nur vom 1. Januar 2020 bis und mit 21. Januar 2020 (3 Wochen). Erst wenn das 2. Dienstjahr beginnt, hat er wieder Anspruch auf Lohnfortzahlung bei Krankheit.
Welche Lohnbestandteile werden weiterbezahlt?
Der vertraglich vereinbarte Bruttolohn (Monatslohn oder Stundenlohn), Anteil 13. Monatslohn, vertraglich vereinbarte Boni, Provisionen, Umsatzbeteiligungen, Geschäftsauto, Zulagen etc. (kurz: alles, was der Mitarbeiter auf jeden Fall verdient hätte, wenn er gearbeitet hätte). Bei schwankenden Lohnbestandteilen wird auf die letzten 12 Monate abgestellt oder auf den Dienstplan. Nicht zu bezahlen sind Spesen (Ausnahme Pauschalspesen), freiwillige Vergütungen und Überstunden (Ausnahme Vereinbarung oder Gewohnheit).
Wenn du für deine Mitarbeiter eine Krankentaggeldversicherung abgeschlossen hast, die den konkret vorliegenden Krankheitsfall abdeckt, kannst du vergessen, was du oben gelesen hast. Dann gilt die Lohnfortzahlungspflicht nach Art. 324b, OR.