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Schreibe für den Zuhörer, nicht für den Leser

Wer deine Texte liest, hört sich automatisch selber zu. Und niemand, wirklich niemand, will sich selber langweilig finden müssen. Schlimm genug, wenn man irgendeinem anderen Langweiler zuhören muss, bevor man endlich ins wohlverdiente Apéro kann. Deshalb mein heutiger Tipp: Schreib nicht für den Leser, schreib für den Zuhörer. Dass du nicht für dich selbst schreibst, ist dir natürlich sowieso schon klar. 

 

Aber wie geht das, für den Zuhörer schreiben? Danke, dass du fragst. 

 

Stelle eine Frage

Fragen wecken auf. Selbst unsere stumme Leserstimme geht bei einem Fragezeichen nach oben. Oder nicht? Sie kann gar nicht anders. Stimmt's? Und der Zuhörer wird dem Drang nicht widerstehen können, die Frage für sich zu beantworten – im Idealfall mit einem Ja. Willst du noch mehr Tipps?

 

Wechsle das Tempo

Es ist wie auf dem Pferd: Wenn du stundenlang im Schritt durch die Prärie reitest, döst du irgendwann weg – da kann auch die schönste Aussicht nichts dran ändern. Wenn dein Pferd aber ab und zu trabt oder galoppiert, bleibst du garantiert wach. 

 

Also: Streue mal eine Ellipse ein. Eine Ellipse ist ein verkürzter, grammatikalisch unvollständiger Satz, dessen Bedeutung man jedoch problemlos aus dem Kontext schliesst. Beispiel: «Viele Leserinnen schätzen diese Abwechslung. Zu Recht.» [Statt «Das tun sie zu Recht.»]

 

 

Ich bin ja ein Fan von Hauptsätzen. Aber immer nur Hauptsätze sind auch langweilig. Das ähnelt dem Gleichschritt. Der macht einen mürbe. Spürst du es auch? Selbst wenn deine Sätze etwas länger sind als beim Stakkato, solltest du das nicht die ganze Zeit machen. Variiere also die Satzlängen und gib auch mal einem Nebensatz eine Chance, denn nicht alle Nebensätze sind schlecht. Sie können deinem Text zu mehr Elastizität verhelfen, sodass du deine Sätze einmal ausdehnen und dann elegant wieder «zurückschletzen» lassen kannst wie ein Jo-Jo.

 

Auch Satzzeichen helfen beim Wechsel der Gangart. Nur zur Erinnerung: Es gibt mehr als nur Punkt und Komma. Wie wär's wieder mal mit Fragezeichen, Ausrufezeichen (aber bitte nicht mehr als eines!), Semikolon, Doppelpunkt, Gedankenstrich, Auslassungspunkten ...?  Die Zuhörerstimme übersetzt Satzzeichen automatisch in die richtige Stimmlage und Pausenlänge. Oder. Kannst. Du. Das. Ohne. Abzusetzen. Lesen?

 

Provoziere und überrasche

Eine Provokation funktioniert besonders gut, wenn der Leser dich schon kennt und denkt, er wüsste, wie du tickst. Wichtig ist, dass du die Provokation anschliessend auflöst, damit der Leser erleichtert feststellen kann, dass er sich doch nicht in dir getäuscht hat. Beispiel: «Velofahrer sind die dümmste Spezies unter den Verkehrsteilnehmern. Das sage nicht ich, sondern ...»

 

Überraschungen hindern die Leserin ebenfalls daran, nur oberflächlich über deinen Text hinwegzulesen. Beispiel: «Rinder sind übrigens auch keine ausgemachten Vegetarier. Mutterkühe fressen nämlich nach dem Abkalben ihre Nachgeburt.»

 

Bring Beispiele

Ich weiss, ich habe das schon oft geschrieben, aber es ist wirklich verdammt wichtig: Bring Beispiele. Kleine Geschichten machen eine Behauptung fassbar. Sie begründen deine These. Sie lockern die Theorie auf, sind verständlich und (hoffentlich) unterhaltsam. Klar, Beispiele und Anekdoten verlängern deinen Text. Das macht aber nichts – denn auch längere Texte werden durchaus gelesen, wenn sie spannend geschrieben sind. 

 

Fortgeschrittene können sich auch gerne an einer Metapher versuchen, so wie ich weiter oben mit den Gangarten der Pferde. Die Metapher muss aber passen und du solltest es mit diesem Stilmittel nicht übertreiben, sonst fängt es an zu nerven. 

 

Gendern

Wie dir vielleicht aufgefallen ist, halte ich nichts vom Gendern. Rein. Gar. Nichts. 

Es stört bloss den Lesefluss. Schön finde ich noch die Variante, einmal die männliche und einmal die weibliche Version zu wählen, auch wenn ich persönlich schlicht die kürzeste Form bevorzuge. Das war's auch schon. Ehrlich, hört bloss auf mit euren Gender*sternchen, Gender:doppelpunkten, Gender_Unterstrichen, Gender/Schrägstrichen, GenderInnen, Genderinnen und Gendern und Gendernden. Das kann und will kein Mensch lesen und hören. Dieses Umsverrecken-politisch-korrekt-sein-Müssen führt bloss dazu, dass man auf einmal gar nicht mehr weiss, was grammatikalisch richtig ist.

 

Neulich erhielt ich einen Brief. Anrede: Liebe Mitgliederinnen und Mitglieder.

Tja. Das Problem ist nur: Es heisst das Mitglied. Ob das Mitglied tatsächlich ein solches (also ein Glied) hat oder nicht, ist für das grammatikalische Geschlecht komplett irrelevant. Die Mehrzahl von das Mitglied ist die Mitglieder. Fertig, aus. Aber a propos Glieder ...

 

Gliederung

Leser wollen geführt werden und ganz sicher liest keiner freiwillig eine ganze Seite Fliesstext – es sei denn, er lese ein Buch. Überschriften sind das Mindestmass an Freundlichkeit, das du aufbringen musst, wenn jemand deinen Text lesen soll. Noch besser sind zusätzlich Bilder, Aufzählungen, Kästchen und Zitate. Diese Elemente helfen übrigens auch dir, den roten Faden nicht zu verlieren. 

 

Denn wie gesagt – die Zuhörer werden deinen Text dann in guter Erinnerung behalten, wenn er kurzweilig ist und sie nicht länger als unbedingt nötig vom Apéro abhält. Cheers!